Zum Inhalt springen

Michael Makiolla: Haltung zeigen und handeln

Integration ist nichts für Billiganbieter

Wir stehen heute hier auf dem Marktplatz von Massen, um uns für Werte wie Toleranz, Freiheit und Vielfalt einzusetzen. Im Gegensatz zu denen, die hier nach uns demonstrieren wollen, treten wir für eine offene und demokratische Gesellschaft ein.“ Michael Makiolla, ehemaliger Landrat des Kreises Unna, gehörte zu den Rednern der Veranstaltung, die der Runde Tisch gegen Gewalt und Rassismus initiiert hat. Viele Menschen setzten ein deutliches Zeichen gegen die nachfolgende Kundgebung der AfD. Hier die Rede von Michael Makiolla im Wortlaut:

Wir sind hier, um eine klare Botschaft zu senden – eine Botschaft des Widerstands gegen Hass, Rassismus, Antisemitismus und Intoleranz. Wir sind hier, um unsere Stimme zu erheben und zu zeigen, dass wir für eine bessere Zukunft stehen – eine Zukunft, in der jeder Mensch unabhängig von seiner Herkunft, seiner Religion, seines Geschlechts oder seiner Hautfarbe respektiert wird.

Die deutsche Geschichte hat uns gelehrt, wohin insbesondere Rassismus und Antisemitismus führen können. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Saat des Hasses erneut aufgeht. Unser Grundgesetz, das auf Demokratie und Menschenrechten basiert, ist unser Fundament, unser Kompass in diesen stürmischen Zeiten. Dabei gelten die Menschenrechte und die Grundrechte unseres Grundgesetzes für alle Menschen, also auch für Zugewanderte und Geflüchtete. Und genau diese Werte unserer Verfassung verteidigen wir heute.

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

ich weiß, dass viele Menschen hier in Unna-Massen verunsichert und besorgt sind, weil die Konflikte innerhalb der Erstaufnahmeeinrichtung für geflüchtete Menschen und in der Nachbarschaft spürbar zugenommen haben. Das ist nach all dem, was ich erfahren habe, nachvollziehbar und wir sollten die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger in diesem Ortsteil sehr ernst nehmen. Deswegen müssen die verantwortlichen Behörden in Unna, Arnsberg und Düsseldorf dringend Maßnahmen ergreifen, um die Lage wieder zu beruhigen; was ja auch bereits geschieht. Insbesondere habe ich vollstes Vertrauen in Landrat Mario Löhr, die Kreispolizeibehörde Unna und Bürgermeister Dirk Wigant, dass sie gemeinsam die Sicherheit der Menschen in Unna-Massen gewährleisten können.

Wir sollten uns aber daran erinnern, dass Zuwanderung und Integrationserfahrung seit jeher zum Kern unseres Landes gehören:

Wir sind ein Einwanderungsland! Vertriebene nach dem Zweiten Weltkrieg, die sogenannten „Gastarbeiter“, Boatpeople aus Vietnam, Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien und Geflüchtete aus Syrien. Alles geschafft! Alles Teil der Identität unseres Landes!

Deshalb können wir zuversichtlich sein, auch die aktuellen Probleme in den Griff zu bekommen, so wie wir das in den vergangenen Jahrzehnten geschafft haben. Und gerade dieser Ortsteil hat mit der früheren Landesstelle Unna-Massen einen besonderen Anteil an der erfolgreichen Bewältigung dieser Herausforderungen. Massen war über Jahrzehnte der Brennpunkt der Aufnahme und der Integration von Zuwanderern in ganz Nordrhein-Westfalen. Darauf können die Menschen in Unna-Massen auch heute noch sehr stolz sein.

Allerdings ist die Integration zugewanderter Menschen in unsere Gesellschaft kein Kurzstreckenspurt, sondern ein Marathonlauf über viele Jahre, der häufig mit Konflikten und Krisen verbunden ist. Deshalb bedarf es ausreichender gesellschaftlicher und staatlicher Maßnahmen und Hilfen, um Zuwanderung erfolgreich bewältigen zu können; denn Integration ist kein Selbstläufer.

Das gilt erst recht für die aktuelle Situation hier in Massen. Ich erwarte vom verantwortlichen Land NRW, namentlich von der Landesregierung, dass bei der Unterbringung und Betreuung geflüchteter Menschen in der Erstaufnahmeeinrichtung Bedingungen geschaffen werden, die die Konflikte zwischen den Bewohnern untereinander und die Belastungen der Nachbarschaft auf ein Minimum begrenzen. Wenn man das wirklich will, dann ist das auch möglich! Insbesondere sollte die Betreuung der zum Teil traumatisierten Menschen intensiviert und professionalisiert werden. Wir brauchen eine Betreuung, die ihren Namen wirklich verdient!

Warum gibt man nicht in allen Aufnahmeeinrichtungen des Landes NRW den freigemeinnützigen Verbänden die Möglichkeit, dort die Betreuung zu übernehmen und ergänzend auch Ehrenamtliche mit einzubeziehen?

Stattdessen werden die Betreuungsleistungen alle paar Jahre von der Bezirksregierung Arnsberg neu ausgeschrieben und an den billigsten Anbieter vergeben. Anders als die Freien Wohlfahrtsverbände verfügen die kommerziellen Betreiber solcher Einrichtungen in der Regel über keine gesellschaftlichen Netzwerke vor Ort und können daher auch keine ehrenamtlichen Betreuerinnen und Betreuer mobilisieren. Diese Vorgehensweise muss die Landesregierung unbedingt ändern!

Und schließlich gilt es, in den Heimatländern der Geflüchteten im verstärkten Maße Fluchtursachen zu bekämpfen, damit weniger Menschen sich entschließen, den gefahrvollen Weg durch die Sahara und über das Mittelmeer anzutreten, um nach Europa zu gelangen.

Es ist ein großer Skandal und mit unseren humanitären Werten nicht zu vereinbaren, dass wir es zulassen, dass jedes Jahr tausende Menschen auf dem Weg nach Europa im Mittelmeer, im Atlantik und im Ärmelkanal jämmerlich ertrinken.

Wie kann es sein, dass wir Europäer und andere die westafrikanischen Fischgründe mit schwimmenden Fabriken leer fischen und damit die heimischen Fischer arbeitslos machen?

Wie kann es sein, dass wir Europäer die afrikanischen Märkte mit subventionierten Agrarprodukten überschwemmen und damit den lokalen Kleinbauern die Existenzgrundlage nehmen?

Wie kann es sein, dass das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, das überwiegend mit Mitteln aus Europa und Nordamerika finanziert wird, im Jahre 2015 angeblich völlig überraschend nicht mehr genug Geld hatte, um Menschen in den Flüchtlingslagern in Nordsyrien angemessen zu ernähren mit der Folge, dass die betroffenen Familien Hunger leiden mussten?

Und dann wundern wir uns, wenn junge Leute aus diesen Ländern nach Europa aufbrechen.

Stattdessen schließen europäische Regierungen Abkommen mit autokratischen Regimen rund um das Mittelmeer ab und bezahlen diese dafür, flüchtende Menschen davon abzuhalten, nach Europa zu gelangen. Heute wissen wir, dass diese Autokraten dies nur sehr begrenzt tun und Flüchtlingsbewegungen als Druckmittel gegen Europa einsetzen.

Warum bilden wir nicht junge Menschen in ihren Heimatländern oder bei uns in Deutschland in Berufen aus, in denen Fachkräftemangel herrscht und geben ihnen so eine legale und nicht lebensgefährliche Möglichkeit nach Europa zu kommen?

Das hilft ihnen und das hilft uns!

Aus eigener familiärer Betroffenheit weiß ich, dass unsere Altenpflege auf die Arbeitskraft zugewanderter Menschen aus Osteuropa und mittlerweile auch aus Afrika existenziell angewiesen ist. Das gilt mit Sicherheit auch für andere Branchen in Deutschland.  Ich begrüße es ausdrücklich, dass die Bundesregierung hier bereits tätig ist. Das muss jetzt konsequent und mit großem Engagement in die Tat umgesetzt werden.

Wir brauchen endlich eine umfassende europäische Strategie zur Bekämpfung von Fluchtursachen. Dazu gehören faire Handelsbeziehungen – insbesondere zu den Ländern Afrikas – sowie die Bekämpfung des Klimawandels und seiner Folgen.

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

wir wollen uns heute denen entgegenstellen, die die aktuelle Situation in Unna-Massen ausnutzen wollen, um unsere demokratische und solidarische Gesellschaft in Frage zu stellen. Denen geht es nicht um die Bürgerinnen und Bürger, die hier leben; die sind nur Mittel zum Zweck, um die Demokratie zu zerstören. An der Lösung der konkreten Probleme hier in Unna-Massen sind sie in Wirklichkeit gar nicht interessiert.

Diese Leute sind nicht stark, auch wenn die sogenannten sozialen Medien manchmal einen anderen Eindruck vermitteln. Stark ist vielmehr die demokratische Mehrheit in diesem Land.

Wir sind hier, um zu zeigen, dass unsere Gemeinschaft stark ist. Wir sind eine vielfältige Gesellschaft. Gerade diese Vielfalt ist unsere Stärke! Und jetzt müssen wir Verantwortung zeigen, indem wir für unsere demokratische Gesellschaft offen und aktiv eintreten.

Demokratische Politikerinnen und Politiker sollten auch nicht der Versuchung erliegen, die Wortwahl und die Begriffe der rechtsextremistischen Hetzer zu übernehmen, weil sie glauben, so rechte Wählerinnen und Wähler an sich binden zu können. Die Erfahrung zeigt, dass diese politische Strategie die rechtsextremistischen Parteien stärkt und unsere Demokratie schwächt.

Rechtsextremistische Demokratiefeinde kann man nicht mit Verständnis und Dialog bekämpfen, sondern nur mit Haltung und Konfliktbereitschaft. Demokratie gibt es nur, wenn genügend Menschen aktiv für sie eintreten.

Und das tun wir heute. Lassen wir uns also in schwierigen Zeiten nicht verunsichern oder gar einschüchtern!

Das ist unser Land!

Und wir sind die Mehrheit!

Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit!