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Rede des Massener Ortsvorstehers

Volkstrauertag: Gedenken und Mahnung

Überall in Unna wurde zum Volkstrauertag der Opfer von Krieg und Gewalt gedacht, so auch in Massen. Wir veröffentlichen an dieser Stelle die Rede des Ortsvorstehers Meinolf Moldenhauer, die er während der Gedenkveranstaltung auf dem Friedhof gehalten hat. Darin zitiert er unter anderem einen Satz des sozialdemokratischen Reichstagspräsidenten Paul Löbe anlässlich des ersten zentralen Gedenktags in Deutschland am 5. März 1922, der an Aktualität nichts verloren hat: „Leiden zu lindern, Wunden zu heilen, aber auch Tote zu ehren, Verlorene zu beklagen, bedeutet Abkehr vom Hass, bedeutet Hinkehr zur Liebe und unsere Welt hat die Liebe not“.

Hier die Rede in ihrem ganzen Wortlaut:

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir haben uns heute hier zum Volkstrauertag versammelt, um der Opfer von Krieg und Gewalt zu gedenken. Zugleich wollen wir zur Versöhnung, Verständigung und Frieden gemahnen.

Der Volkstrauertag wurde nach dem Ersten Weltkrieg eingeführt. Denn die Schrecken und Opfer dieses Krieges übertrafen die aller zuvor geführten Kriege. Die Historiker gehen davon aus, dass dieser Krieg weltweit neun Millionen Todesopfer gefordert hat. Die meisten dieser Opfer waren Soldaten. Zwei Millionen deutsche Soldaten sind in diesem Krieg gestorben. Aber nicht nur sie allein waren Opfer, sondern auch die nicht gezählten Verwundeten, Verstümmelten, Traumatisierten und all die trauernden Hinterbliebenen. Deshalb schlug der Volksbund deutscher Kriegsgräberfürsorge 1919 den Volkstrauertag als Gedenktag für die gefallenen deutschen Soldaten des Ersten Weltkriegs vor. Am 5. März 1922 fand die erste Gedenkstunde im Reichstag statt, zu der der sozialdemokratische Reichstagspräsident Paul Löbe die Ansprache hielt. 

Der Volkstrauertag wurde erstmals am 1. März 1925 begangen. Nach einer wechselvollen Geschichte – insbesondere während der Herrschaft der Nationalsozialisten –  wird der Volkstrauertag seit 1952 zwei Wochen vor dem ersten Adventssonntag begangen.

Die Opferzahlen und Schrecken des Ersten Weltkrieges wurden durch den Zweiten Weltkrieg um ein Mehrfaches übertroffen. Die Gesamtzahl der Opfer lässt sich nur schätzen. Für die durch direkte Kriegseinwirkung Getöteten werden Schätzungen von 60 bis 65 Millionen Menschen angegeben. Schätzungen, die die Verbrechen und Kriegsfolgen einbeziehen, reichen bis zu 80 Millionen. Erstmals waren auch Millionen zivile Opfer zu beklagen.

Der Volkstrauertag ist ein Tag des stillen Gedenkens an alle Opfer von Krieg und Gewalt und zugleich ein Tag der Besinnung, wie wir heute auf Krieg, Gewalt und Terror reagieren, was wir heute für Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit und Menschlichkeit bei uns und in der Welt tun können. Dieser Tag ist zugleich ein Tag der Trauer. Wir trauern um die Opfer von Gewalt und Krieg überall auf der Welt, um Frauen, Männer und Kinder, die ihr Leben verloren haben oder deren Leben der Krieg überschattet hat. Denn Krieg bedeutet neben Tod auch vielfach Hunger, Leid und Not. Krieg kennt keine Gewinner, sondern nur Verlierer. Unsere Vorstellungskraft versagt, muss versagen angesichts der monströsen Opferzahlen der beiden Weltkriege.

Wir gedenken der Menschen, die wegen ihres Glaubens, ihrer Abstammung oder ihrer politischen Gesinnung damals und heute zu Opfern wurden. Insbesondere gedenken wir auch der Menschen, die wegen ihrer Behinderung oder Krankheit als „unwertes Leben“ bezeichnet, verfolgt, diskriminiert und ermordet wurden.

Glücklicherweise durften wir in den vergangenen Jahrzehnten die längste Friedensperiode in der europäischen Geschichte erleben. Diese Errungenschaft müssen wir uns immer wieder bewusstmachen und gerade in den Zeiten bewahren, in denen es wieder Krieg in Europa gibt. Auch wenn wir in Europa seit Jahrzehnten im Frieden leben, führen uns nicht zuletzt die vielen Bilder und täglichen Nachrichten über den brutalen Angriff von Russland am 24. Februar 2022 auf die Ukraine, die Mobilmachung von 300.000 Reservisten in Russland für diesen mörderischen Krieg und die Androhung des Einsatzes von Atomwaffen schmerzlich vor Augen, wie nah und dringlich die Friedensaufgabe tatsächlich ist. Nie hätten wir gedacht, dass die Zeiten des Kalten Krieges mit einem atomaren Säbelrasseln, welches die Welt in den Untergang reißen könnte, wieder Alltag wird.  In diesem Jahr gedenken wir daher im Besonderen der Kriegstoten und -verwundeten sowie ihrer Angehörigen in der Ukraine und in Israel und Palästina: der vielen in den vergangenen Monaten gefallenen Soldaten und getöteten Zivilisten. Mehr als vier Millionen Frauen und Kinder sind aus der Ukraine geflüchtet, davon eine Million nach Deutschland. Diese Frauen und Kinder wurden zu Flüchtlingen, Kriegswitwen und Waisen. Die Bilder von zerstörten Krankenhäusern, Kindergärten und Flüchtlingskonvois unter gezieltem russischem Beschuss, geplünderte und zerstörte Städte und grausame Massaker an unschuldigen Zivilisten sind beängstigend. Bei all den Emotionen dürfen wir nicht vergessen, dass der Angriffskrieg von Russland auf die Ukraine nicht vom russischen Volk ausgeht, sondern von einer machthungrigen Elite.

Wir sind heute hier, um diesen Gedenktag als einen Tag der Trauer und der Mahnung zu begehen. Trauer bedeutet Anteilnahme am Mitmenschen. Aus dieser Trauer entsteht die Verpflichtung, alles zu tun, damit nicht erneut unschuldige Menschen zu Opfern von Krieg, Terror und Gewalt werden. Wir müssen die Botschaft der unzähligen Gräber aufgreifen. Ihre Botschaft heißt Frieden und Versöhnung. Dafür einzutreten ist eine Mahnung, die uns die Opfer, denen wir am Volkstrauertag gedenken, mitgeben. Wir können den Frieden nur bewahren, wenn wir aktiv für ihn eintreten. Das gilt in der großen Perspektive der Weltpolitik genauso wie im kleinen Rahmen unseres täglichen Lebens. Deshalb ist es umso wichtiger, den Anfängen zu wehren, mutig einzuschreiten, wenn Mitmenschen unsere Hilfe brauchen und wir rücksichtsvoll, verständig, friedlich und hilfsbereit miteinander umgehen. Denn nicht alle Menschen haben das Glück friedlich aufzuwachsen. Der Frieden ist wie wir in diesen Tagen sehen ein zerbrechliches Gut, das wir mehr denn je schützen müssen. Aus dem Gedenken des heutigen Tages ergibt sich für uns alle die Pflicht zur Verantwortung für den Erhalt des Friedens. Und damit das gelingen kann, ist jeder einzelne von uns gefragt. Gerade wir Europäer, insbesondere wir Deutsche, sind daher aufgerufen, weltweit und immer wieder für Verständnis und Aussöhnung zu werben.

Unser Gedenken gilt heute auch den vielen Helfern, die täglich bei verantwortungsvollen und riskanten Einsätzen in Situationen kommen, in denen sie ihre Gesundheit und ihr Leben für Frieden und Sicherheit in Gefahr bringen. Bedanken möchte ich mich bei der Feuerwehr, der Polizei, dem Roten Kreuz, dem Technischen Hilfswerk, der Bundeswehr und der Stadtverwaltung sowie all den Helfern, die hilfsbedürftige Menschen unterstützen.

Unser Leben soll im Zeichen  der Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen und Völkern stehen. Unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den Menschen zu Hause und in der ganzen Welt.

Für mich ist ein Zitat von Paul Löbe in seiner Rede am 5. März 1922 zum ersten zentralen Gedenktag heute noch so aktuell wie damals.

„Leiden zu lindern, Wunden zu heilen, aber auch Tote zu ehren, Verlorene zu beklagen, bedeutet Abkehr vom Hass, bedeutet Hinkehr zur Liebe und unsere Welt hat die Liebe not“.   

Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihre Teilnahme an dieser Kranzniederlegung und wünsche Ihnen einen friedlichen Sonntag.